«Die Papierindustrie ist Treiber der Bioökonomie!»

Nachhaltigkeit und Papier – eine Beziehung, die gerade in den letzten Jahren substanzielle Änderungen erfahren hat. Jens Kriete und Alexander M. Stöckle vom zur Koehler-Gruppe gehörenden Papierhersteller Koehler Paper sprechen im PUBLISHER-Interview unter anderem über aktuelle Herausforderungen und mögliche Lösungen.

PUBLISHER: Herr Kriete, Sie sind schon lange in der Papierbranche tätig und nun seit 2020 Nachhaltigkeitsmanager bei Koehler. Was hat sich in der Sparte in den letzten Jahren verändert – vielleicht gerade mit Blick auf Nachhaltigkeit?

Jens Kriete (JK):
Sehr viel. Umwelt und Papier ist seit jeher ein Themenpaar, was gemeinsam betrachtet werden muss. Den Gedanken an nachhaltige Lösungen bei der Papierbranche oder der vorgelagerten Forstwirtschaft gibt es schon seit Jahrhunderten. Es ist und war ja immer im Interesse des Papierherstellers, wenn die Grundressource seiner Arbeit – also hier das Holz – immerzu vorhanden ist.

In den letzten Jahren und Jahrzehnten hat sich konkret viel getan und man ist sich der negativen Effekte der Papierproduktion – man denke etwa an die Chlorbleiche – richtig gewahr geworden. Das hat spannende Lösungen zutage gefördert. Ein Beispiel dafür ist die Zellstoffproduktion, die früher emissionsintensiv war und heute als gut etabliertes, beispielhaftes Vorbild für Kreislaufschliessung angesehen werden kann. Seit etwa 2017 geniesst Nachhaltigkeit in der Industrie einen nochmals grösseren Stellenwert.

Wie bewerten Sie die aktuelle Situation der Papierbranche im Allgemeinen? Es gibt ja zahlreiche Herausforderungen zu bewältigen – Lieferketten, Verfügbarkeiten, Preissteigerungen etc.

JK:
Wir haben tatsächlich viele externe Effekte, die uns unsere Arbeit schwer machen. Der Ukraine-Krieg und die Tatsache, dass auch die Pandemie noch nicht ganz durch ist und in China bei Ausbrüchen immer noch starke Lockdowns verhängt werden, haben eine erhebliche Auswirkung auf die globalen Lieferketten und erschweren die globale Transportwirtschaft. Die Auswirkungen dieser Situation spüren wir auf alle Fälle.

Alexander M. Stöckle (AS): Der Aufschub von Sendungen, die nicht vorhandenen Seecontainer und die Verknappung von Transportmitteln hat der ganzen Industrie nochmals vor Augen geführt, wie weitreichende Konsequenzen das Thema Globalisierung haben kann. Man steckt da voll drin und muss sich urplötzlich Gedanken über das Vorhandensein von Frachtcontainern, LKW-Fahrern etc. machen. Der Einkauf steht also auf einmal maximal im Fokus – und wer da eine nachhaltige Strategie fährt und langfristig denkt, hat Vorteile.

Koehler hat unlängst einen Nachhaltigkeitsbericht veröffentlicht. Welches Ziel verfolgen Sie damit?

JK:
Genauso wie die Tatsache, dass ich mich als Nachhaltigkeitsmanager dediziert mit dem Thema auseinandersetzen kann, ist der Report eine klare Botschaft der Koehler-Gruppe: Wir sind nicht in der Pflicht, einen Nachhaltigkeitsmanager zu bestimmen oder einen Nachhaltigkeitsbericht zu veröffentlichen. Wir tun es auf freiwilliger Basis, um aufzuzeigen, wo wir stehen, wie wir nachhaltige Entwicklung vorantreiben können und wie wir unsere zukünftigen Herausforderungen angehen.

AS: Wir tun das auch, weil Koehler ein über 200 Jahre altes Unternehmen ist, das nun in achter Generation im Familienbesitz ist – und es im Naturell eines Familienunternehmens ist, mit Weitblick zu wirtschaften. Schliesslich möchte man der nachfolgenden Generation die Firma ja erfolgreich übergeben können. Die Weichen für den Fokus auf die Nachhaltigkeit haben wir übrigens bereits vor einiger Zeit, nämlich 2012, mit der Gründung von Koehler Renewable Energy gestellt. 

Ein Ziel aus dem Nachhaltigkeitsreport ist, bis 2030 etwa mehr Energie aus erneuerbaren Quellen zu produzieren, als für die Papierherstellung verbraucht wird. Geht mit diesem Ziel auch eine neue strategische Ausrichtung einher?

JK: Wir haben noch nicht alle strategischen Ziele veröffentlicht. 2030 ist eine visionäre Vorgabe, aber wir sind zuversichtlich, weil wir die nötigen Massnahmen schon in der Pipeline haben und bereits an der Umsetzung sind.

AS: Wir haben, wie erwähnt, 2012 mit Koehler Renewable Energy begonnen und damit inzwischen ein bedeutendes weiteres Standbein der Koehler-Gruppe aufgebaut: Wir betreiben an verschiedenen Standorten in Deutschland und Schottland eigene Kraftwerke – im Wesentlichen mit Biomasse, aber auch mit Windkraft – und haben weitere Anlagen in der Genehmigungsphase. In dieser Sparte investieren wir massiv. In Deutschland ist es nur leider noch immer so, dass die Genehmigung eines Windkraftwerkes bis zu fünf Jahre und länger in Anspruch nehmen kann und es deshalb ein sehr langwieriger Prozess ist. Allgemein lässt sich aber sagen: Da ist ganz viel geplant und diese Säule wird definitiv weiter ausgebaut.

JK: Ein grosses Thema ist Zirkularität, also die Kreislaufwirtschaft. Da sind wir als Branche schon recht weit, aber ich denke, dass dort noch mehr Potenzial, gerade für weitere nachhaltige Entwicklungen, schlummert.

Ein Beleg dafür findet sich beispielsweise im Blue4est-Kassenbon aus blauem Thermopapier: Der Kassenbeleg aus diesem umweltfreundlichen und unbedenklichen Thermopapier kann regulär im Altpapier entsorgt werden und kann dann als Sekundärrohstoff seine Wertschöpfung fortsetzen, z. B. an unserem Standort in Greiz an – ein Beispiel für gelebte Kreislaufwirtschaft. Blue4est ist wirklich ein Leuchtturmprojekt, womit wir die Weiterentwicklung eines Grundartikels, also des Kassenbons, schon etabliert haben. Im Produkt sind samt und sonders harmlose und übliche Papierrohstoffe verarbeitet, die völlig ohne chemische Farbentwickler auskommen und in der Wiederverwendung unproblematisch sind.

Dann sind wir auch dabei, die Messbarkeit unserer Umweltauswirkung voranzutreiben – es also quantifizierbar zu machen, dass das Material ökologisch vorteilhaft ist. So wollen wir noch mehr Kunden dazugewinnen.

Standort Greiz
Der Koehler Paper Produktionsstandort im Thüringer Greiz beschäftigt über 120 Mitarbeitende und bietet unter anderem hochwertig durchgefärbte Papiere sowie Kartons an, die zu 100 % auf Sekundärfaserstoffen basieren.

Wie geht der Wandel zur erneuerbaren Energie bei Koehler voran?

AS:
Es war in Deutschland lange Zeit politisch durchaus gewollt, dass man als Energieträger auf Erdgas setzt. Als Koehler Paper haben wir anders als manch anderer frühzeitig in erneuerbare Energien investiert. Trotzdem: Es ist nach wie vor so, dass gewisse Maschinen in der Produktionskette eine Abhängigkeit von Erdgas haben. Das ist ein Problem, an dem wir – und die gesamte Branche – arbeiten, sich aber nicht von heute auf morgen ändern wird.

JK: Wir sind sicherlich diverser als andere Unternehmen aufgestellt, aber ohne Gas können wir nicht vollständig produzieren. Da sind wir aber natürlich auch nicht die einzigen. 

Welche Projekte sind mit Blick auf die erneuerbaren Energien denn konkret geplant? Und wie schaffen Sie es, Ihre Zielsetzungen zu erreichen?

JK: Wir dekarbonisieren gerade unser Kraftwerk in Greiz. Da operieren wir aktuell noch mit einem lokalen, aber leider nicht zukunftsfähigen Brennstoff, nämlich Braunkohlestaub. Aus diesem Grund haben unsere Experten von Koehler Renewable Energy ein innovatives Verfahren entwickelt, das uns erlaubt, ein bislang kaum genutztes Biomasse-Sortiment als Brennstoff für das vorhandene Kohlekraftwerk zu nutzen. Das Projekt befindet sich erfolgreich in der Umsetzung und kann auch weiter skaliert werden. Als nächstes steht die Dekarbonisierung des Kraftwerkes an unserem Standort in Oberkirch an, wo wir zu Teilen schon mit erneuerbaren Energien arbeiten.

AS: Wie wichtig und ernst wir das Thema nehmen, zeigen natürlich auch die Investitionssummen, die wir in die Hand nehmen. Alleine für die Dekarbonisierung in Oberkirch werden wir 60 Millionen Euro aufbringen. Warum wir unsere Ziele rechtzeitig erreichen? Wir haben früh angefangen – uns damals sicherlich auch einem Risiko ausgesetzt – ,unternehmerischen Weitblick bewiesen und uns rechtzeitig Expertise auf diesem Gebiet ins Boot geholt.

Darüber hinaus macht uns der letzte Wechsel der Bundesregierung in Deutschland das Leben hoffentlich bald leichter: Es wurde klar kommuniziert, dass der Genehmigungsprozess etwa für Windparks vereinfacht und verkürzt werden muss, weil wir sonst den Zubau erneuerbarer Energiekapazitäten nicht – oder zumindest nicht in der gewünschten Geschwindigkeit – schaffen.

Mit Nexflex, Eco Black oder dem vorhin angesprochenen Blue4est haben Sie bereits nachhaltige und zukunftsträchtige Produkte auf dem Markt. In welcher Artikelsparte sehen Sie das grösste Potenzial? 

JK: Im Bereich flexibler Verpackungen schlummert immenses Potenzial. Wenn Sie sich mit Retailern/Markenartiklern etc. austauschen, ist es völlig klar, dass deren Kunden sich bei der Wahl zwischen Papier und Plastik für Papier entscheiden. Die Konsumenten wissen Plastik auf eine gewisse Art zu schätzen, sind sich allerdings bewusst, dass es allgegenwärtig ist und auch dort ist, wo es nicht sein sollte. Es gibt viele Bereiche, wo es mit papierbasierten Alternativen ersetzt werden kann. Wir stehen da mit unseren Produkten bereit und werden diese, gemeinsam mit unseren Partnern, peu à peu in die Wertschöpfungskette einführen.

AS: Wir befinden uns mit zahlreichen Markenhändlern im Rahmen von verschiedensten Projekten im Austausch. Bei Ritter Sport beispielsweise hat es erfolgreich funktioniert: Sie gehen in Sachen nachhaltiger Neuausrichtung voran und haben im Frühjahr 2021 bereits die Sekundärverpackung der Ritter Mini-Schokoladen auf unser Papier umgestellt.

Interessant ist aber: Nicht jeder Markenartikler geht von sich aus und will aus eigenem Antrieb umstellen – man denkt sich vielleicht: Die Prozesse sind ja etabliert, warum etwas ändern? Viele sind vom Konsumentenverhalten getrieben und werden mittelfristig von Kunden praktisch dazu «genötigt», nachhaltigere Produkte (und Verpackungen) anzubieten.

JK: Was auch spannend ist: Bis anhin waren Luxusmarken und Recyclingmaterialien nie in Verbindung zu bringen. Nun sind wir an einem Punkt angekommen, wo viele Produzenten hochwertiger Güter, etwa Uhrenhersteller, auf uns zukommen. Die hochwertige Haptik von Kartons und Papieren – zum Beispiel das auf 100 % Sekundärfasern basierte Eco Black – passt für ein überaus edles Produkt einfach hervorragend.


Wenn Sie einen Zauberstab hätten und eine Begebenheit der Papierbranche per Knopfdruck ändern könnten, welche wäre das – und warum?

AS: Ich möchte nicht pathetisch wirken – aber über die vergangenen Jahrzehnte hat sich die Lobby der flexiblen Plastikverpackungen eine etablierte Position erarbeitet. Im Sinne der Kreislaufwirtschaft würde es der jetzigen, vor allem aber den kommenden Menschheitsgenerationen helfen, wenn wir verstärkt auf nachwachsende und vor allem rezyklierbare Rohstoffe setzen. Und dabei spielt Kunststoff eine weit geringere Rolle als heute.

JK: Wenn ich einen Zauberstab hätte, würde ich den nutzen, um die Industrie zu einen, damit sie mit einer Sprache spricht und endlich gemeinsam die vielen positiven Aspekte von Papier, der Forstwirtschaft und der Holzlieferkette hervorhebt. Das ist wirklich geboten und überfällig, denn die Forst-Zellstoff-Papier-Wertschöpfungskette hält mit ihrem Zirkularitätspotenzial den Schlüssel zur nachhaltigen Entwicklung in der Hand– wir sind Treiber der Bioökonomie. So sollte unser Selbstverständnis – natürlich, verantwortungsvoll und mit Fakten und guten Argumenten untermauert – auch aussehen. 

Alexander M. Stöckle
Corporate Director Marketing & Communications bei der Koehler-Gruppe, hat einen Master-Abschluss in Management mit Schwerpunkt Marketing & Kommunikation der FOM in Frankfurt am Main. Seit über 15 Jahren führt er B2B-Marketing- und Kommunikationsbereiche in verschiedensten Branchen.

Jens Kriete
ist seit über 22 Jahren in der Papierindustrie tätig. Er hat Environmental Engineering in Sheffield studiert und hat einen Master in Organization Studies der Universität Hildesheim. Bei der Koehler-Gruppe ist er seit März 2020 als Nachhaltigkeitsmanager beschäftigt.

Koehler-Gruppe
Koehler Paper, ein Teil der Koehler-Gruppe, wurde 1807 gegründet und hat sich seit Tag eins nachhaltigen Zielen verschrieben. Die Koehler-Gruppe, hat ihren Hauptsitz im baden-württembergischen Oberkirch und beschäftigt rund 2500 Mitarbeitende weltweit. Zur Gruppe gehört ausserdem das Unternehmen KATZ, das Weltmarktführer für Getränkeuntersetzer ist.

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