Das ABCD der Typographie

Unsere Schrift hat sich im Laufe von Jahrtausenden gewandelt und unter verschiedensten Einflüssen stets weiterentwickelt. Zum ersten Mal wird die Geschichte der Typographie der Lateinschrift als Comic erzählt.

Ein purer Zufall spielte mir dieses Buch in die Hände – und was für ein Glück ich hatte. Auf 128 Seiten wird die über 5000-jährige Geschichte der Typographie als Comic erzählt. Aber der Reihe nach: Ich stand in einem kleinen Quartierbuchladen, die Buchhändlerin tippte bereits meine Buchauswahl in die Kasse ein, während mein Blick nochmals über die Bücherregale schweifte und auf dem obersten Bücherregal knapp unterhalb der Decke an einem frontal präsentierten Buchcover hängen blieb. Mein Finger zeigte nach oben, während mein Mund ein neugieriges «Oh» ausstiess – und die Buchhändlerin bestieg behände die Leiter. Ich blätterte das Buch nur kurz an und schon war ich gefangen von den verschiedensten Illustrationsstilen, die mir entgegensprangen.

Ein Comic vermittelt
Das Buch «Das ABCD der Typographie» gibt in elf Kapiteln einen Überblick von der Geburt der Schrift bis zur Typographie von heute und morgen. Das von David Rault, einem Experten für Typographie und Autor, herausgegebene und in Frankreich publizierte Buch ist das erste Comicbuch über die Geschichte der Typographie der lateinischen Schrift.

Damit soll es einem neuen Publikum näher gebracht werden, also Nicht-Fachleuten. Aber keine Sorge: Auch Kennern ist dieses Buch sehr zur Lektüre empfohlen, da die Vielfalt der Zeichenstile absolut begeistert. Die elf Kapitel werden nämlich von elf Künstlern, darunter – wie der Herausgeber selbst bemerkt – «einige der talentiertesten Zeichnerinnen und Zeichnern der heutigen Generation» dargeboten. Und das wohlgemerkt in Frankreich, dem Land der Bande dessinée. Ein Glück, gibt es nun eine deutsche Übersetzung.

Blick zurück: Die Entstehung der Schriftart «Times New Roman»
Quelle: Verlagshaus Jacoby & Stuart

5000 Jahre Geschichte
Der inhaltliche Bogen spannt sich von 3500 v. Chr. mit den frühesten Dokumenten der Sumerer in Mesopotamien, im Süden des heutigen Irak, bis in unsere Zeit, wo Schrift selbst in der heutigen Bilderflut ein absolut wichtiges Element ist. Was erfahren wir alles? Schrift hatte schon früh – wie leider heute noch – unter anderem die Funktion, territoriale Ansprüche zu untermauern. Warum gibt es eigentlich Punkte zwischen den Wörtern, wie es beispielsweise auf Inschriften römischer Tempel der Fall ist? Wie verändert sich die Schrift, wenn sie den Wechsel von «in Stein gehauen» zu «auf Papier geschrieben» vollzieht?

Natürlich wird bei dieser rasanten Tour durch die Geschichte auch die Arbeit und enorme Leistung der Mönche beschrieben, die aus der Erschaffung eines Einheitsalphabets – also Kleinbuchstaben, Grossbuchstaben am Satzbeginn und der Punkt am Ende – besteht. Selbstverständlich widmet sich ein Kapitel dem mutmasslichen Erfinder des Buchdrucks, Gutenberg, während sich ein anderes mit der Thematik beschäftigt, wie der Humanismus die Schriftentwicklung beeinflusst hat. Es geht um Lesbarkeit von Schrift, um radikale Strömungen während der Bauhaus-Zeit, um die Internationalen Tagungen von Lure, um den Fotosatz und natürlich auch um Computerschriften. Die eingestreuten Fachwörter werden in einem Glossar am Ende des Buches erklärt.

Sprechende Buchstaben
Bei all dem Interesse für das Thema begeistern mich auch die immer wieder neuen Illustrationsstile, in die man pro Kapitel eintaucht. Mal sind sie bunt und wild, mal farbig dezent und eher gradlinig. Sehr oft wird mit einem Augenzwinkern erzählt, wenn beispielsweise ein Mönch seinen Kollegen mit Kumpel anspricht oder der Schriftentwickler beim Vermessen der Lettern, das A zum Stillhalten anhält.

Am Schluss werden auf einer Übersichtsseite die wenigen Schriftschöpfer mit einer Auswahl der von ihnen entwickelten Schriften vorgestellt. Mit Nina Stössinger ist eine Schweizerin dabei, die von Basel nach New York zog, um ihrer Leidenschaft für die Buchstaben zu folgen. Und noch ein kleiner Tipp am Schluss: Wer nach der Lektüre noch nicht genug von Schriften hat, der bestelle sich das Typodarium 2022. Aktuelles Typedesign at its best.

David Rault – Das ABCD der
Typographie

Aus dem Französischen
128 Seiten | 19 x 26 cm
geb., Hardcover | durchgehend farbig
2021, Verlagshaus Jacoby & Stuart, Berlin
ISBN 978-3-96428-114-2

Andrea Machura ist seit Kindertagen eine Leseratte und gelernte Buchhändlerin. Heute hilft sie als Texterin Unternehmen dabei, die richtigen Wörter und den passenden Ton zu finden. In Berlin geboren, lebt sie seit 20 Jahren in Basel, wo sie Gastgeberin im Netzwerk CreativeMornings ist. www.alles-gesagt.com

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