«Wir überwinden kreative Grenzen»

Die Plattform «99designs»­ ­verbindet Menschen für Designprojekte. Wir haben mit CEO Patrick Llewellyn über digitale Kreativität und neue Arbeitsformen in der grafischen Branche gesprochen.

Auf 99designs erstellt man für sein Projekt einen Wettbewerb und erhält dutzende Designvorschläge. Funktioniert die Branche in Zukunft nur noch durch virtuelle Ausschreibungen?
Der Designwettbewerb ist ein guter Weg, Ideen eine Form zu geben. Wir stellen aber zunehmend auch fest, dass wir immer mehr Menschen direkt mit einzelnen Designern in Verbindung bringen. Diese Möglichkeit bevorzugen vor allem diejenigen, die genau wissen, was sie wollen. Wenn etwas Bestimmtes erstellt werden soll, kann es manchmal schneller und einfacher sein, direkt mit einer einzelnen Person zu arbeiten. Man braucht dann nicht 30 Ideen durchzugehen und 30 verschiedenen Personen Feedback zu geben. Wenn aber die Ideenentwicklung im Vordergrund steht und man sich noch nicht ganz sicher ist, in welche Richtung es gehen soll, ist der Designwettbewerb genau das Richtige.

Patrick Llewellyn

Welcher Grundidee liegt die Lösung von 99designs zugrunde?
Wir sind davon überzeugt, dass bei kreativen Aufgaben Menschen anderen Menschen helfen sollten. Wir wollen ihnen die beste Möglichkeit bieten, online an der Gestaltung zusammenzuarbeiten. Wir glauben, dass der Markt zukünftig noch weiter wachsen wird, weil die Menschen sich immer wohler mit derartigen Tools fühlen und ihre Nutzung immer einfacher wird. Trotzdem braucht qualitativ hochwertiges Design immer noch Kreativität, und die ist menschlich. Wir konzentrieren uns darauf, die Qualität unserer Plattform zu verbessern und sicherzustellen, dass wir die besten Werkzeuge für die beste Community auf dem Markt haben.

Und wohin geht eure Entwicklung in den dynamischen Markt?
Unser Ziel ist es, die Dienstleistungen für die Kommunikation von Marken auszudehnen und die Infrastruktur der Plattform so weiter­zuentwickeln, dass sie für eine ganze Reihe kreativer Herausforderungen nutzbar ist. Die aktuellen Kategorien bilden nur einen Teil des Angebots ab; Animationen oder auch Videoproduktion werden immer wichtiger. Zudem schätzen grosse, anspruchsvolle Kunden die Vorteile, auf eine «On-­Demand-Belegschaft» zurückgreifen zu können.

Inwiefern sind Workflows und Integrationen für 99designs ein Thema?
Für die Community von Kreativschaffenden haben wir die Plattform über eine Schnittstelle für weitere Partner zugänglich gemacht. Wir haben die letzten zwölf Jahre damit verbracht, Menschen, die Bedarf an Grafikdesign haben, in verschiedenen Kategorien zu helfen. Dies wollen wir auch in Zukunft tun, indem wir unser Know-how anderen zur Verfügung stellen. Wir arbeiten zum Beispiel mit Squarespace, einer Plattform zur Erstellung von Webseiten. Dort stellen wir auf ­Basis unserer Community Spezialisten zur Verfügung, die innerhalb von Squarespace ihre kreative Expertise anbieten. So können Benutzer von Squarespace Aufträge innerhalb dieser Partnerplattform vergeben. Die Zusammenarbeit wird als White-Label-­Lösung realisiert. Diese Art der Kooperation wollen wir ausweiten und dadurch kreative Probleme an dem Punkt lösen, wo sie auftreten. Dementsprechend planen wir auch ein Pilotprogramm mit der europäischen Plattform Prezi.

Wie sieht die Zukunft des Designs aus? Wird es noch Designer geben oder macht künstliche Intelligenz die ganze Arbeit?
Ich denke, dass künstliche Intelligenz die Arbeit in Zukunft unterstützen wird und dies auch jetzt schon tut. Designer werden dadurch besser und effizienter arbeiten können, teilweise mit Unterstützung von Bots für die Grundlagenarbeit. Die tatsächliche Kreativität wird aber auch weiterhin den Menschen vorbehalten bleiben. Selbstverständlich muss man sich als Kreativschaffender ständig weiterentwickeln, weil der Markt aufgrund der stetig besser ­werdenden Werkzeuge immer härter wird. Zudem gibt es mehr und mehr Möglichkeiten, auch ohne professionelle Unterstützung Designprojekte selbst umzusetzen.

Patrick Llewellyn
Patrick Llewellyn ist der Kopf hinter dem internationalen Durchbruch von 99designs. Als CEO ist er für die weltweite Expansion des Unternehmens verantwortlich.
Vor seinem Einstieg bei 99designs war er zehn Jahre als M&A-Berater für Technologie- und Medienunternehmen tätig. In dieser Position erarbeitete sich Llewellyn ein umfassendes Know-how im Bereich Kapitalbeschaffung und im Umgang mit Investoren. Als das Angebot von 99designs kam, zögerte er nicht: «Ich erkannte sofort das enorme Potenzial, welches in diesem Unternehmen steckt.»

Inwiefern hat 99designs die Arbeitsweise für die grafische Branche verändert?
Vielen Leuten ist es weiterhin wichtig, im traditionellen Sinne persönlich miteinander zu arbeiten. Unsere Aufgabe ist es, einen Punkt zu erreichen, an dem die Arbeit online so einfach wie möglich ist. Wir haben dazu Ende 2019 eine Studie mit dem Titel «Design ohne Grenzen» veröffentlicht, die belegt, dass es für Kreative viele Vorteile mit sich bringt, auf diese Weise – also online vernetzt – zu arbeiten. Es ermöglicht flexibleres Arbeiten und schafft einen einfacheren Zugang zu den Aufträgen. Etwa für Menschen, für die eine Festanstellung ungeeignet ist, wie zum Beispiel berufstätige Mütter, Menschen mit Behinderung oder wenn man in einem Land lebt, in dem es schwierig ist, Zugang zu dynamischen Märkten zu erhalten. Wir sind in der Lage, diese Grenzen zu überwinden und bieten eine andere, moderne Arbeitsform.

Wenn es um komplexere Projekte geht, reicht ein schriftliches Briefing oftmals nicht aus. Es braucht Workshops und Kreativprozesse unter Einbezug mehrerer ­Personen.
Das stimmt. Wir werden auch dafür Lösungen anbieten. Schliesslich ist echte Kreativität unser Ziel und intelligente Werkzeuge sind dazu notwendig. Das bedeutet, dass wir weiterhin die Kommunikationsbarrieren abbauen und verschiedene Möglichkeiten der Zusammenarbeit anbieten wollen.

Bedeutet eine Lösung wie 99designs eine Gefahr für Agenturen und Dienstleister in der grafischen Branche?
Ich glaube nicht, dass unser Geschäftsmodell disruptiv ist, weil der Grafikbereich schon immer eine sehr wichtige freiberufliche Komponente hatte, nur spielte diese sich bisher offline ab. Wir bringen sie nur ins ­Digitale und schaffen damit mehr Möglichkeiten für eine viel grössere Anzahl von Kreativen. Im letzten Jahr haben wir in 150 Ländern Geld an Designer überwiesen. Mit 99designs ist es uns gelungen, ein enormes Netzwerk aufzubauen, in dem die Grenzen durch das Internet aufgehoben werden. Wir wollen die Designer dazu ermächtigen, die Kontrolle über ihre Arbeit selbst zu übernehmen. In der Vergangenheit waren Freelancer oft über Agenturen angestellt und eine ­flexible Arbeit für mehrere Kunden war mit Blick auf das eigene Arbeitspensum schwieriger. Agenturen waren bisher zum Teil eine Art Zwischenhändler. Nun ändert sich die Arbeitsweise zunehmend zur Kollaboration in virtuellen Teams. Das wird unsere Entwicklung unterstützen.

Aus eurer Studie geht hervor, dass sich viele Freelancer nach wenigen Jahren Agenturerfahrung selbstständig gemacht haben. Findet eine Verlagerung von der Agentur zum Freiberufler statt?
Ich denke, dass die jüngere Generation ­zunehmend wählerisch bezüglich ihres Arbeitsalltags ist. Sie ist sehr unternehmerisch veranlagt, sie schätzt die Freiheit. Es ist eine Generation, für die Zeit zu einem entscheidenden Faktor geworden ist. Da ist es nur naheliegend, gerade wenn man jung ist, die Flexibilität auszukosten und zu reisen, die Welt zu erleben – das Konzept der digitalen Nomaden entwickelt sich weiter. Aus unserer Studie geht hervor, dass unabhängig von der Altersgruppe vor allem von Freiberuflern das Nomadentum geniessen. Dies führt wiederum zu neuen Inspirationen für die Kreativität.

Interessanterweise sagen viele Studienteilnehmer aber auch, dass sie eine eigene Agentur aufbauen wollen. Wie kommt das?
Es handelt sich dabei eher um eine andere, virtuelle Art von Agentur. Heutzutage ist es viel einfacher, in einem Kollektiv zu arbeiten als früher. Es entsteht eine stärkere kreative Mischung, wenn Teams von Fachleuten für bestimmte Projekte zusammenkommen, ohne sich für die Ewigkeit aneinanderzubinden.

In der Schweiz fragen sich viele beim ­Phänomen der digitalen Nomaden, ob man denn bei der Arbeitsweise im Ausland leben muss, damit man überhaupt über die Runden kommt.
Das ist ein interessanter Punkt. Ich kenne die wirtschaftlichen Bedingungen in der Schweiz nicht genau. Auf 99designs haben wir aber viele Designer, die sich einen guten Lebensunterhalt leisten können, daher bin ich mir sicher, dass es möglich ist. Andererseits ­sehen viele auch den Reiz in einem einfacheren Lebens ohne grosse materialistische Ansprüche, dafür aber mit voller Kontrolle über das eigene Leben. In dieser Hinsicht könnte es doch auch eine grosse Verlockung sein, den Schweizer Winter gegen einen thailändischen Strand zu tauschen.

Wobei Skifahren und Snowboarden in der Schweiz im Winter auch ganz attraktiv ist.
Definitiv! Ich habe einmal einen Designer und Snowboarder getroffen, der den Globus so bereist, dass er sich das ganze Jahr über im Winter aufhält. Als wir uns trafen, hatte er bereits 13 Winter in Serie erlebt.

Vielen Dank für das Gespräch!

Über 99designs:
99designs ist die globale Plattform, die es Designern und Kunden leicht macht, gemeinsam eindrucksvolle Designs zu erarbeiten. Seit 2008 hat sich 99designs von einem kleinen Online-Forum in eine globale Community talentierter Designer entwickelt. Die Kreativ-Plattform ist Anlaufstelle für Unternehmen, Agenturen und Personen, die Grafikdesign benötigen. Ihr Hauptsitz liegt in Melbourne, Australien, weitere Büros in Oakland, Kalifornien und Berlin. 99designs.ch

  • Autor Laurent Gachnang
    Laurent Gachnang ist seit über 15 Jahren in der Medien- und Unterhaltungsindustrie tätig. Er gilt als Experte für digitales Publizieren und Online Marketing. Zuletzt arbeitete er bei einem Medienunternehmen als Marketingverantwortlicher und war massgeblich an der Lancierung eines Change-Prozesses beteiligt. Als Gastdozent ist er an diversen Fachhochschulen sowie ehrenamtlich als Mentor bei der Startup Academy Basel tätig.
  • Rubrik Design & Praxis
  • Dossier: Publisher 1-2020

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