Fotografieren oder knipsen?

Eine besondere Leibspeise der Küsten-Grizzlys in Alaska sind Muscheln. Bei Ebbe suchen sie nach ihnen und ihr Geruchsinn ist so gut ausgebildet, dass sie diese in dreissig Zentimeter Tiefe im Boden noch riechen können. Mit ihren Krallen graben sie die Leckerbissen aus und öffnen sie geschickt mit ihren Lippen und Zähnen. 

Ohne Zweifel prägt das fotografische Bild unser Bewusstsein – es ist als fotografisches Gedächtnis für kommende Generationen wichtig. Eine Standortbestimmung.

Die Digitalfotografie hat mich 1999 aus dem Dornröschenschlaf erweckt. Die analoge Fotografie mit Papierbildern und Diafilmen war ausgereizt, zu langsam und zu teuer. Meine Nikon Cool­pix konnte 3,34 Megapixel ablichten und die vier Batterien hielten gefühlte zwei Stunden durch. Allein, die Bilder sofort auf dem Desktop zur Verfügung zu haben und in Layouts einzupflegen, war reizend. Konservative Mahner halten der analogen Fotografie bis heute die Stange, wenn auch mehr aus grafischen Motiven: Beste Aufnahmequalität wird heute gerne mit Shabby- Look versehen, Vignettierung künstlich angebracht, die Beautyretusche ersetzt die Stylistin auf elek­­­tronischem Weg.

Das Internet ist für das boomende Geschäft verantwortlich. Es sind nicht die Printouts, die Fotobücher oder die Fotogrusskarten, nein, gefühlte 99,9% aller Bilder wandern ins Netz. Mit einer dürftigen Auflösung auf einem minimalen Standard basierend. Entsprechend stammen die meisten Fotos von Handys, die von vielen Profis mit Nasenrümpfen betrachtet werden. Handys sind der Prototyp der neuen Fotografie: minimale Hardware, maximale Software. Umgekehrt im Profibereich: maximale Hardware, minimale Software. Die Grenzen sind fliessend, und die Prozessorleistung (Software) wird immer leistungsfähiger. Ob künftig geknipst wird und ohne Stativ bei Nacht messerscharfe Bilder ohne Rauschen entstehen, hängt nicht nur von besten Objektiven und Hardware ab, sondern in wesentlichen Teilen von Kamerasoftware. Das Bildrauschen wird sehr wahrscheinlich künftig kein Thema mehr sein. Natürlich wird leistungsstarke Software auch bei hochwertig gebauten Systemen Einzug halten, welche die reine Abbildungsqualität nochmals steigern werden. Der Kamera ist’s egal, ob sie filmt oder mit Serienbildfunktion Fotos macht. Verwackelte Bilder werden künftig fast unmöglich sein, die Software richtet’s. Dutzende Aufnahmen können fast beliebig zusammengerechnet werden, was zu unglaublichen Bildeindrücken führt. Das Bildereinfangen wird noch einfacher werden und die Selektionierung und das Ablegen von Fotos dürfte ebenfalls noch einen Sprung nach vorne machen.

Die Gestaltung des Bildinhalts ist eine andere Geschichte. Zwar sind Motive ebenfalls von Technik abhängig (Stativ, Blitz, Objektiv, Blende, Verschlusszeit usw.), die Art der Inszenierung braucht nach wie vor das geschulte Auge und die Idee des Fotografen. Die Planung einer Fotografie, die Zeit- und Lichtverhältnisse vor Ort, das Motiv selbst beeinflussen die Fotografie – ganz ohne Technik. Noch sind wir nicht ganz so weit, aus Google die Bilddaten der Location herauszufiltern und beliebig neu zusammenzusetzen. Perspektive, Kamerastandort oder Lichtführung sind Ingredienzen, die den virtuellen Handwerker brauchen. Ich kann mir vorstellen, dass die Software auf Knopfdruck den Lichteinfall wie in einem 3D-Programm beliebig steuern wird. Bei Apps für Beautyretusche (PortraitProStudio) funktioniert das heute schon.

Die fotografische Kreativität wird durch die unendliche Zahl von Bildern im Netz befeuert. Sie wirken animierend und führen zu neuen kreativen Kombinationen oder Bildstilen. Es finden kontroverse Diskussionen statt, was unter dem Begriff «Fotografie» zu verstehen ist. Ich denke, es ist keine gute Idee, die Scheuklappen eng zu halten und irgendwelchen Dogmen nachzuleben. Sie könnten sich rasch als falsch erweisen.Für Ferien- und Amateurfotografen zum Schluss noch dies: Ein Erlebnis ist ein Gefühl, welches sich im Herzen niederlässt. Das Erinnerungsvermögen leidet nicht darunter, wenn auch mal nicht auf den Auslöser gedrückt wird.

Walter Weber mag formal starke Motive oder Schwarzweiss. Hier ein Bild des Parkhauses Sihlcity (Zürich), das er mit einer Fujifilm X-M1 fotografierte.

Die Fotografie entwickelt sich weiter
Walter Weber ist bei Fujifilm seit 12 Jahren zuständig für die Marktentwicklung in der Schweiz.

Seit die Digitalfotografie in den Neunzigerjahren die Fotografie revolutioniert hat, ist eine stetige Entwicklung da. Während Nikon und Canon die Spiegelreflex-Technologie ins digitale Zeitalter überführten, traten Panasonic, Sony und Fuji­film mit den spiegellosen Kamerasystemen auf die Bühne. Walter Weber ist überzeugt, dass die Zukunft den Spiegellosen gehören wird: «Der Spiegel hat rein gar nichts mit der Bildqualität zu tun, ist jedoch im digitalen Kameraprozess eher ein mechanisches Hindernis, da er nicht auf Geschwindigkeit ausgelegt ist.» Die Prozessoren in der Kamera werden einiges zulegen, was erlauben wird, digital noch mehr zu machen. Beispielsweise können Daten aus grösseren Sensoren mit einer grösseren Bildrate und einem besseren Dynamikumfang ausgelesen werden. Filmen mit 4K ist sehr rechenintensiv und braucht schnelle Prozessoren. Mit der Global-Shutter-Verschlusstechnologie wird das Bild nicht zeilenweise, sondern als Ganzes belichtet. Das erlaubt hohe Bildraten, hohe Auflösung, scharfe Bilder auch bei bewegten Motiven, besseres Rauschverhalten und ein höherer Dynamikbereich. Die Blitzsynchronisation entfällt, Blitzen wird bei jeder Verschlusszeit möglich.
«Die Verkäufe in der Fotobranche gehen in Stückzahlen zwar generell zurück, es ist jedoch ein Trend festzustellen, dass dafür höherwertige Kamerasysteme gekauft werden», meint Weber.

Die Miniaturisierung hingegen scheint ausgereizt, was im Wesentlichen damit zusammenhängt, dass das Handling nicht beliebig verkleinert werden kann, ohne dass die Kamera fummelig wird. Walter Weber erwartet, dass die Automatismen der Kamera noch besser werden. Fokusstacking, Blendenstacking, Zeitraffer sind dazu die Stichworte. Auch hier spielt der Kamera­prozessor die entscheidende Rolle. Ob das Stacking in der Kamera stattfindet oder auf dem Computer, soll der Anwender selbst entscheiden können.Weber bedauert einen gewissen Wertezerfall in der Fotografie generell. Das hänge sicher auch mit der Geschwindigkeit der Unternehmenskommunikation zusammen. Argumente wie «es ist nur fürs Internet», führten halt dazu, dass jedermann fotografiere und das Bild weniger wert sei. Generell nimmt Weber nicht die Deutungshoheit der Fotografie für sich in Anspruch: «Wie in der Autobranche gibts für alle fotografischen Ansprüche entsprechende Lösungen, und das ist auch gut so.»
Infos: fujifilm.ch

Walter Webers berufliche Wurzeln gründen im Detailhandel. Nach verschiedenen Weiterbildungen beschäftigte er sich bei Agfa mit Film, Fotopapier und Laborgeräten. 2005 wechselte Weber zu Fujifilm und ist heute Leiter der Photo Division. Er fotografiert in seiner Freizeit sowohl analog wie digital, vornehmlich Landschaften, Architektur und grafische Motive.

Fotografieren als Beruf(ung)

Tiger in freier Wildbahn zu fotografieren, ist kein einfaches Unterfangen, denn sie sind fast ausgerottet. Dieses Bild gelang im Ranthambore-Nationalpark, im nördlichen Indien. Foto: Rudolf Hug.

Berufsfotografen gibt es immer weniger. Auf der Spitze einer beruflichen Pyramide leben wenige von der Fotografie, einige sogar ganz gut. Viele Fotografinnen und Fotografen gehen ihrer Leidenschaft als Patchworker nach. Eigentlich verdienen sie in einem Teilzeitjob den Lebensunterhalt, und mit der Fotografie wird mal etwas mehr, mal etwas weniger dazuverdient. Die Kundschaft wird vom Bekanntenkreis aus immer mehr ausgeweitet. Ab und zu einen Auftrag zu ergattern, ist nicht ganz dasselbe, wie Studio und Ausrüstung zu finanzieren und die Familie mit der Fotografie zu ernähren.

Die Abnehmer sind vor allem Unternehmen. Aber auch Bildagenturen, die international zu Billigstpreisen einkaufen und das Material für einen Apfel und ein Ei verhökern. Medien, die Gratis-­leserfotos abdrucken oder auf dem Screen zeigen, sind des Fotografen Tod.

Auf Facebook, Pinterest, 500px oder anderen Plattformen präsentiert sich heute jeder. Wo Millionen sich tummeln, ist das Angebot riesig, da ist kein Geld zu machen. Landschaftsfotografie? Schwierig. Hochzeitsfotografie? Es wird kolportiert, dass im Tessin zwei Personen aus Italien kommen, die den Hochzeitstag für 600 Euro bebildern. Pressefotografie? Hier wird nach abgedruckten Bildern bezahlt. 50 Franken für einen halben Tag Aufwand?

Berufskollegen/-innen spezialisieren sich deshalb auf eine bestimmte Nische – sie schmälern aber gleichzeitig das eigene Portfolio. Andere versuchen, in der Schulung Fuss zu fassen, ein guter Fotograf ist aber nicht automatisch ein begabter Didaktiker oder Referent. So oder so: Fotografen müssen ihre Kenntnisse erweitern, in Richtung Film, Ton, Text, Grafik, Internet oder Ähnliches. Der Traum vom Fotografen, der mit seinen spektakulären Bildern in Milch und Honig badet, der bleibt für die meisten ein Traum.

Mit Futter wurde der Unglückshäher an den vorbereiteten Platz gelockt. Die Kamera mit den richtigen Einstellungen auf dem Stativ gegen die Sonne ausgerichtet – und dann braucht es etwas Glück.

Sich geistig dem Motiv annähern

Sich geistig dem Motiv annähern
Rudolf Hug ist als arrivierter Naturfotograf, Autor von ­Fotobänden und Vortragsreisender bekannt.

Hug fotografiert nicht nur, aber hauptsächlich zielgerichtet. Als Unternehmer will er nicht einfach so fotografieren, sondern aus den Bildern «etwas machen». Mit den drei Bildbänden über Natur- /Tierfotografie, ­Reisefotografie und über Ostschweizer Brauchtum sowie etwa 10 Vorträgen jährlich und einem Fotokalender ist der 67-Jährige arriviert. Hug sieht seinen Erfolg in einem Mix von Know-how, das er sich autodidaktisch angeeignet hat: Nebst dem fotografischen Handwerk beschäftigt er sich mit dem «Erzählen» von Bildergeschichten. Seine Bildervorträge werden begleitet vom Livekommentar – in den Büchern erzählt er Hintergrundstorys zu den Bildern. Als Fotograf schreibt er, layoutet seine Bücher gleich selbst und verlegt sie auch. Aktuell bloggt er in der «Aargauer Zeitung» und kommentiert dort seine Bilder, die wöchentlich erscheinen. «Das Erreichen einer Öffentlichkeit ist für den Erfolg und das Renommee wichtig, Fotografen müssen deshalb auch gute Verkäufer sein.» Mehrwissen und Fähigkeiten, die die Fotografie ergänzen, unterscheiden den normalen vom erfolgreichen Fotografen. Ein nächstes Fotoprojekt führt ihn in den Regenwald von Costa Rica, schon heute beschäftigt er sich minutiös mit den Vorbereitungen. Welche Motive sind vorhanden, wie nahe ran kann ich, welche Lichtbedingungen herrschen, welches Equipment muss ich mitnehmen? Auf seinen Fotoreisen (6 bis 8 Wochen jährlich) schleppt Hug einen Fotorucksack von maximal 16 kg mit, da muss auch mal ein Kompromiss geschlossen werden. «Die Frage, für welchen Zweck ich fotografiere», meint Hug, «ist entscheidend beim Material.» Er fotografiert mit der Nikon D850 und wenigen Objektiven, die meist von 24 bis 500 mm reichen, selbstverständlich in RAW. «Die Leistungsfähigkeit der 850er ist gegenüber der 810er ganz enorm», schwärmt Hug, «mit der hohen Auflösung von 46 Megapixeln kann ich oft auf die langen und schweren Brennweiten verzichten!»
Infos: www.rudolf-hug.ch

Einstieg Fotografie

Fotografieren (und Filmen) hat eine ungebrochene Faszination, das belegen Milliarden von Fötelis und Videos, die in den sozialen Netzwerken herumgereicht werden. Die Kehrseite davon ist der Wertezerfall, der den hochgeschwemmten Bildern anhaftet. Der Laie erkennt den Unterschied zwischen dem eigenen Handybild und einem professionellen Setting kaum mehr. «Das kann ich auch selber», ist die Devise der Stunde. Wie beim Haushandwerkeln gelangt der Vernünftige zum Schluss, dass irgendwann besser der Profi auf den Plan tritt. Je mehr man hinter die Kulisse schaut, desto weiter wird die Welt. Fotografie kennt viele Spezialisierungen und Genres, sie ist auch technik- und softwaregetrieben. Ernsthafte Fotografie hat mit Knipsen so viel zu tun wie Typografie mit Microsoft Word.

Fotograf kann sich aber jeder nennen – nur eine solide Ausbildung trennt die Spreu vom Weizen. Es gibt verschiedene Wege zur seriösen Fotografie: da ist einmal die Berufslehre Fotograf/-in EFZ. Es gibt Weiterbildungen vom einfachen Fotografiekurs (z. B. Sternefotografie) bis hin zu Lehrgängen, die sich einem speziellen Thema widmen (z. B. Studiofotografie).

Über ein ganzes Jahr führt der Diplomlehrgang Fotografie am Zentrum Bildung, Baden. Dieser Kompaktlehrgang bietet eine praktische Ausbildung in den wichtigsten Genres der Fotografie. Der 23. Lehrgang ist aktuell ausgeschrieben, anscheinend ein sehr erfolgreiches Produkt. In kleinen Klassen werden auch Amateurfotografen ausgebildet, die eine umfassendere Ausbildung möchten, als bei Tageskursen möglich ist.

Berufsbegleitende Ausbildungen werden an Höheren Fachschulen für Fotografie angeboten, die dauern gewöhnlich zwei bis drei Jahre und enthalten theoretische Grundlagen und die praktische Ausbildung zum Berufsfotografen.

Eine Übersicht finden Sie auf der Website des Verbandes SBF, Schweizer Berufsfotografen und Fotodesigner, sbf.ch.

In der Fotogragie Fuss fassen
Die 22-jährige Fotofachfrau Melinda Blättler hat sich im ­September 2016 mit eigenem Studio als Berufsfotografin selbstständig gemacht.

Schon als kleines Mädchen hatte Melinda stets «so eine pinkige Kamera» dabei. Sie hat ihre Passion zum Beruf gemacht. Der Schritt in die Selbstständigkeit führt über die Auftragsfotografie im privaten Umfeld in der Outdoor-Fotografie zu einem stetig wachsenden Kundenstamm. 2016 ist es so weit, Melinda verlässt das Angestelltendasein und macht sich selbstständig (melpic.ch). Zweifel bleiben: «Wird es reichen, habe ich genug Kunden und Aufträge?» Um die Kenntnisse in der Fotografie zu festigen, besucht sie die Höhere Fachschule für Fotografie am Zentrum Bildung, Baden, wo die dreijährige Ausbildung dafür sorgen soll, dass sie bei der Auftragsakquise bessere Karten erhält. Zurzeit ist Melinda in der People-Fotografie zu Hause und porträtiert für Unternehmen Mitarbeitende, Politiker, Familien und Paare, für ein Modegeschäft stylt und fotografiert sie mit Models und Stylistinnen das ganze Sortiment. In der Hochzeitsfotografie bietet sie ein ganzes Leistungspaket an, das vom Safe-the-date-Kärtchen bis zu den Einladungskarten oder dem Hochzeitsalbum geht. «Ich mag Leute und möchte sie so zeigen, wie ich sie sehe», meint Melinda. «Locker hinstehen, das können allerdings die wenigsten, da sind Einfühlungsvermögen und Kommunikation gefragt.» Nach dem bisherigen Erfolg gefragt, meint Melinda: «Ich bin ganz zufrieden, doch man darf sich nichts vormachen, die Arbeit ist hart, mit langen Arbeitszeiten. Man muss rackern fürs Honorar.» Ein bisschen traurig wird Melinda, wenn sie von Kunden berichtet, die den Job der Fotografin abwerten, um die Preise zu drücken: «Man muss jeden Rappen rechtfertigen!» Trotzdem ist mit der Fotografie ein Traum in Erfüllung gegangen – Anerkennung und Wertschätzung sind Werte, die nicht mit Geld aufzuwiegen sind.

  • Autor Ralf Turtschi
    Ralf Turtschi ist Inhaber der R. Turtschi AG. Der Autor ist als Journalist und Fotoreporter für die Gewerbezeitung, unteres linkes Zürichseeufer und Sihltal, unterwegs. Er ist als Dozent beim zB. Zentrum Bildung, Baden,
    tätig, wo er im Diplomlehrgang Fotografie der Masterclass Fotografie und an der Höheren Fachschule für Fotografie unterrichtet.
  • Rubrik Imaging
  • Dossier: Publisher 1-2018
  • Thema Fotografie

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