Jeder ein Kreativer, dank künstlicher Intelligenz?

Adobes Grossanlass im Bereich Digital Media fand während der ersten Novemberwoche erneut im Schmelztiegel Los Angeles statt. Die ­Wald- und Buschbrände in der ­Umgebung waren im Convention Center jedoch kaum ein Thema, umso mehr die ­Huldigung der Kreativität und wie sich Adobe diese in Zukunft vorstellt.

Direkt nach der zweitägigen Pre-Conference startete der offizielle Teil der Adobe MAX 2019 mit der – vor Ort und Online – viel­beachteten Opening-Keynote. Wie gewohnt fand Shantanu Narayen (Adobe CEP) lobende Worte für seine kreativen Schäfchen rund um den Erdball. Er beschwor die Anwesenden, dass die Künstliche Intelligenz (KI, engl. Artificial Intelligence AI) Menschen eher befähigen und nicht ersetzen soll.
Gemäss offiziellen Angaben waren dieses Jahr 15 000 Menschen aus allen Ebenen der Kreativwirtschaft angereist. Scott Belsky (Chief Product Officer, Creative Cloud Vizepräsident) referierte im Anschluss über die Zugänglichkeit von Kreativität sowie dem ewigen Spannungsfeld zwischen Zeit und Kreativität. Seitens des Herstellers Adobe ist eine Antwort darauf, seine Programme noch schneller, verlässlicher und auch ortsunabhängig machen zu wollen. Gemäss vor­geführter Demos und bisherigem eigenen ­Eindruck scheint dies tatsächlich gelungen zu sein.

Verbesserungen

Im Bereich Grafikdesign und Bildbearbeitung wurden natürlich Photoshop, Illustrator, InDesign, Lightroom aber auch Neulinge wie beispielsweise Fresco vorgestellt.
Dabei beeindruckte nicht nur die Erledigung enorm vieler Bugfixes, sondern auch, dass die Entwickler ihr Augenmerk insbesondere auf die Performance und Stabilität der Programme gelegt haben.
So lädt sich bzw. startet InDesign um rund 25 % rascher und neue Photoshop-­Dokumente erscheinen quasi in Echtzeit. In Photo­shop öffnen sich selbst komplexe Auswahlen schneller und der Begrüssungs-Screen begeistert mit frischem Design. Auch bei Lightroom sorgt nun die GPU (Grafikkarte) für Speed in der Bildbearbeitung. ­Illustrator startet etwa doppelt so flott auf und das Videoschnitt-Tool Premiere Pro soll neu zehnmal zügiger exportieren. Wer ­bereits mit dem «kleinen» Premiere Pro, Adobe Rush arbeitet, wird feststellen, dass dieses Mobile- und Desktop-Tool stabiler und schlanker geworden ist. Über alle Produkte und Sparten hinweg scheint der Geist der KI zu schweben, denn die künstliche ­Intelligenz von Adobe «Adobe Sensei» ist in zahlreichen Produkten ein fester Bestandteil geworden.

Neue Produkte

Die weltweite Relevanz von 3D und Augmented Reality (AR) zeigte sich bei Adobe mit dem Erscheinen von Aero. Letztes Jahr noch als «Project Aero» vorgestellt, war die Mobile App für AR während Monaten im Prerelease-Programm verfügbar. Jetzt also ist die Version 1.0 für die breite Öffentlichkeit zu haben.
Künftig wird es auch möglich sein, den Aero-Kreationen auf dem Desktop den letzten Schliff zu geben. Interessierte Kreative können sich beim Private Beta anmelden.
Einfach gesagt ermöglicht Aero Krea­tivität und digitales Storytelling in einer neuen, zusätzlichen Dimension. Zwei- oder dreidimensionale Designprojekte werden via iPhone oder iPad in die reale Umgebung platziert, um sie dort dann anpassen zu können. Hierfür sind sogar Interaktivität und Animationspfade abrufbar.
Wer sich bisher noch nicht mit AR befasst hat, findet mit dieser App spielerisch ­Zugang. Assets können aus Photoshop, ­Dimension, Adobe Stock aber auch von ­Substance oder Cinema 4D übernommen werden. Durch die diesjährige Übernahme von Allegorithmic wachsen nun auch Programme wie Substance näher mit der Creative Cloud zusammen. Dies wird vor allem den 3D-Bereich mit Dimension betreffen.
Während dieser MAX erblickte ein weiteres Projekt das Licht der Kreativwelt; Adobe Fresco. Ein völlig neues Mal- und Zeichenprogramm für Touch-Geräte. Mit vektor- und pixelbasierten Pinseln wird im gleichen Bild gearbeitet. Das Zeichnen oder Malen geschieht mit sogenannten Live-Brushes auf iOS-Geräten neuerer Generation oder auf Geräten der Microsoft Surface-Familie. Der bekannte «Pinsel-Guru» Kyle Webster war nicht nur bei der Entwicklung federführend, sondern stellte das Programm auch auf der grossen Bühne vor. Fresco wird bereits jetzt als ernst zu nehmende Konkurrenz für Procreate gehandelt. Ob sich das bewahrheitet, wird die Zeit zeigen. Unterstützt werden ­übrigens alle iPad Pro-Modelle, iPad Air (3. ­Generation), iPad (5. und 6. Generation) sowie iPad Mini (5. Generation). Spannend wird Fresco sicherlich auch im Zusammenspiel mit Apps wie Capture oder Desktop-Tools wie Illustrator, Character Animator oder Photoshop.
Seit einem Jahr wird in der Fachwelt gerätselt, ob und wann Photoshop für iPad kommt. Adobe hat sich bis zur diesjährigen MAX Zeit gelassen. Das Warten scheint sich aber gelohnt zu haben. Es gab im Vorfeld Berichte, dass es sich bei der Mobile-App doch nicht um einen vollwertigen Photo­shop-Klon für Tablets handle. Was Emily ­Bogue jedoch mit ihrem iPad vorführte, lässt Gegenteiliges erhoffen. Dennoch werden alteingesessene Photoshopper dafür kaum ihre Maus und Tastatur beiseite legen. Es scheint Adobe eher darum zu gehen, eine praktische Menge an bewährten Funktionen für die mobile Anwendung bereitzustellen. Und für mobile Workflows im Zusammenspiel mit Desktop-Stationen gibt es zahlreiche Anwendungsfälle – ob für Profis oder Einsteigende.
Totgesagte leben bekanntlich länger. So hat die Ankündigung, dass auch das beliebteste Vektorprogramm Illustrator im nächsten Jahr aufs iPad kommt, aufhorchen lassen. Illustrator für iPad soll Anfang 2020 herauskommen. Es scheint als bekomme Apples iPad dank Touch und Stift wieder neuen Wind. Nachdem schon einige mobile Apps von Adobe gekommen und gegangen sind, sieht es so aus, als ob hinter Photoshop und Illustrator für iPad nun eine gewisse Ernsthaftigkeit steckt. Über Sinn und Unsinn im Kreativ-Alltag entscheidet schlussendlich das Einsatzgebiet. Jedenfalls wird Illustrator für iPad Zeichnungen als Pfade und nicht als Flächen zum grossen Illustrator exportieren, was höchst ­erfreulich ist. Ein Symmetrie-Modus und die radiale Wiederholung erhöhen die Vorfreude zusätzlich. Interessierte können hier den Zugang zum Beta-Programm anfragen: adobeillustratorcc.com/ipad

Neuerungen

Im Screen- und Webdesign setzt Adobe ­weiterhin auf Dreamweaver und das aufstrebende XD. Während der Keynote wurden vor allem die Neuerungen von XD ­vorgestellt.
Dazu kamen Dimension und das vorgängig erwähnte Programm Substance. Auch Adobe Spark entwickelt sich weiter und ist sowohl im Branding als auch im digitalen Marketing insbesondere im Schulbereich immer stärker verbreitet.
Interessant für Publisher wie auch Büroanwender ist die fortschreitende Partnerschaft mit Microsoft und anderen Anbietern. Neueste Integrationen betreffen Microsoft Office und Slack. Über gratis Add-ins kann per sofort in Powerpoint und Word auf CC Libraries zugegriffen werden.
Die CC Desktop App wurde im übrigen komplett neu konzipiert und gestaltet. Eine globale Suche und übersichtliche Gestaltung hilft, die richtigen Apps zu finden. Der Zugriff auf Bibliotheken klappt direkt über die CC Desktop App. Neu können Libraries auch als öffentlich markiert werden. Ein Plus für die Verbreitung von Design-Systemen und ähnlichen Bibliotheken.
Neu ermöglicht Photoshop den Zugriff auf Cloud-Dokumente, die beispielsweise von Photoshop für iPad stammen. Zudem gibt es Verbesserungen bei den Vorgaben, ein neues Objektauswahlwerkzeug (unterstützt durch Adobe Sensei) und erweiterte Transformationen. Das Eigenschaftenbedienfeld zeigt von Mal zu Mal mehr Infos an und Smartobjekte können wieder zurück in Ebenen verwandelt werden. Wer Capture mag, findet jetzt entsprechende Funktionen direkt in Photoshop.
InDesign trumpft neben den besagten Bugfixes mit nativen Spaltenlinien auf. Der langersehnte SVG-Import ist endlich Wirklichkeit und auch Variable OpenType Fonts (siehe ­Illustrator und Photoshop) werden nun unterstützt. Der Flash-Export ist aus ­bekannten und nachvollziehbaren Gründen Geschichte. Als Betriebssystem wird per ­sofort Windows 10 (18xx) oder macOS 13 vorausgesetzt. Die praktische Datenzusammenführung wurde endlich verbessert. Wer zu einem Bild im Layout Alternativen sucht, kann jetzt direkt über die Seite nach ähn­lichen Bildern suchen und diese danach ­ersetzen.
Illustrator profitiert in seiner neuesten Version von einer massiv verbesserten GPU Performance. Die althergebrachte Pfadvereinfachung ist nun in der Anwendung und im Ergebnis um vieles besser. Wer viel mit Texten arbeitet, wird die automatische Rechtschreibprüfung schätzen. Auch der ­Export und das Speichern im Hintergrund waren längst fällig. Ganz allgemein sollen Effekte schneller bearbeitet und dargestellt werden.
XD erobert die weltweite UX/UI-Community derzeit im Sturm. Zu den neuesten Funktionen gehören Komponenten mit unterschiedlichen Zuständen. Dies macht nun auch die langersehnten Hover-Zustände einfach möglich. Die Zusammenarbeit in Echtzeit ermöglicht eine Arbeitsweise ähnlich wie bei Google Docs. Die ­Suche nach geeigneten Plug-ins wurde mit einem neuen, kurartierten Dialog-Fenster verbessert. Dokumente, die in der Cloud gespeichert sind, verfügen über eine History, über welche auf beliebige Versionen zurückgegriffen werden kann. Im Übrigen hat nach Google, Apple und Microsoft jetzt auch Adobe sein internes Design-System zur Verfügung gestellt: spectrum.adobe.com

Dienstags-Keynote

Nach dem ersten Tag voller Workshops, ­Präsentationen und Networking folgte am Dienstag die zweite Keynote mit der zentralen Botschaft: «Kreativität als der grosse Möglichmacher». Auf der grossen Bühne gab es ein Stelldichein aus der aktuellen Kunst- und Fotografieszene, gekrönt von inspirierenden Gesprächen mit den Musikern Billie Eilish und Dave Grohl. Letzterer gab sich ganz als Mensch und weniger als Ex-Schlagzeuger von Nirvana und Frontmann der Foo Fighters. Alle Keynotes wurden aufgezeichnet und sind bis auf Weiteres online auf max.adobe.com verfügbar. Weil aber so viele kreative und erfolgreiche Top-Shots auch strapazieren können, freuten sich die Zuschauer auch in diesem Jahr auf die stets unterhaltsamen Sneaks am Abend.

Sneaks

  • Wieder führte mit Paul Trani einer, der die grosse Bühne liebt, die MAX-Gäste durch das Adobe Labor. Zu Gast war der Komiker und «Saturday Night Live»-Autor John Mulaney. Auch wenn uns dieser hierzulande kaum bekannt ist, waren die vorgestellten «Sneaks» allesamt interessant. Insgesamt wurden elf Projekte vorgestellt.
  • Für die klassischen Publisher waren folgende am vielversprechendsten:
  • AllinSneak – Durch künstliche Intelligenz (Adobe Sensei) unterstützte Bild-Composings von Personen
  • ProjectPronto – Verbindung von Video und AR (Augmented Reality) für Designer ohne den benötigten technischen Hintergrund.
  • #ImageTango – Vermischt mehrere Elemente zu einem neuen Bild. Gezeigt wurde eine einfache Strichzeichnung, welche mit dem «Adobe Sensei» getriebenen Tool zu einem realistischen Foto wurde.
  • FantasticFonts – Animierte, voll editierbare Texte für Social Media Posts.
  • LightRightSneak – Licht und Schatten in realen Fotos steuern mittels 3D-Geometrie.
  • ProjectGlowstick – Illustrator Plug-in, um Licht und Schatten innerhalb von Vektor-­Illustrationen zu setzen.Weitere Sneaks
  • ProjectSoundSeek
  • SweetTalkSneak
  • ProjectAwesomeAudio
  • GoFigureSneak

Der Event

Leider kennen viele diesen Anlass nur von den Live-Streams der Keynotes. Davor und danach wird jeweils ein volles Programm aus sämtlichen Bereichen der Kreativbranche geboten. Egal ob Anfänger, Student oder langjähriger Profi, in den Sessions und Vorträgen hat es etwas für jeden Geschmack. Und natürlich kommt auch der Austausch mit Gleichgesinnten nie zu kurz.
Die nächste Adobe MAX findet vom 19. bis 21. Oktober 2020 in Los Angeles, Kalifornien statt. Die Preconference an den zwei Tagen davor. See you there!

Fazit

Mit der Vorstellung der Creative Cloud 2020 mögen vielleicht die grossen Wunder ausgeblieben sein. Was allen Usern im Alltag aber nach wie vor am meisten bringt, sind performante und stabile Programme, um für alle Kanäle gestalten und publizieren zu können.
Wenn anlässlich der diesjährigen Adobe MAX ein Begriff überstrapaziert wurde, dann ist dies «Powered by Adobe Sensei». Einige Insider machten sich daraus einen Spass und starteten ein damit verbundenes Trinkspiel. Doch wer denkt, die Themen künstliche Intelligenz und maschinelles ­Lernen seien bloss ein Spiel, irrt gewaltig. Wenige Jahre nach der erstmaligen Erwähnung von «Adobe Sensei» wird jetzt auch der breiten Publishing-Öffentlichkeit langsam klar, wie stark technologiegetrieben unsere Tools geworden sind und was uns in naher Zukunft blühen könnte. Die Frage wird nun sein, ob dies unsere Kreativität hemmen oder beflügeln wird. ↑

Links zur Adobe MAX
max.adobe.com
theblog.adobe.com/adobe-max-sneaks-2019
max.adobe.com/sessions/max-online

  • Autor Joely Tafanalo
    Joely Tafanalo ist Designer und Trainer. Toughmedia bietet Kommunikations- und Interactiondesign sowie firmenseitige Unterstützung rund um Adobe Creative Cloud. Seine langjährige Erfahrung in der Publishing-Branche gibt er zudem landesweit an Schulen weiter. Mit Trendspurt teilt er die Begeisterung für Rich Content Design, Creative Coding und Wissenstransfer.
  • Rubrik Events
  • Dossier: Publisher 6-2019
  • Thema Adobe, KI

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