Ganz schön schräg
In der Architekturfotografie wird oft über die Perspektive gestritten. Soll der perspektivische Verzug gerade gerichtet werden oder lieber nicht? Wir haben uns im neuen Circle des Flughafens Zürich umgeschaut.
Architekturfotografie kommt um Weitwinkelobjektive nicht herum, denn oft sind die Platzverhältnisse eng. Brennweiten von 10 bis 24 mm entwickeln jedoch eine stark verzogene Perspektive, um die es hier geht. In begradigten Perspektiven laufen senkrechte Linien parallel. Bei manchen Bildern führt dies zu einer unnatürlichen Sehweise, denn unser Sehsinn kennt keine Parallelperspektive. Eine begradigte Perspektive sollte dort zur Anwendung gelangen, wo schräge Linien im Bild stark stören. Und dort, wo es nur um einen geringen Verzug geht. Stark stürzende Linien sind oft auch ein Gestaltungsmittel oder können gar nicht begradigt werden. Ich plädiere hier für schön schräg oder gerade – nur ein bisschen schräg wirkt wie ein unabsichtlicher Bildfehler.
Weitwinkelobjektive haben die Eigenschaft, dass sie an den Rändern einen Bildverzug zeigen. In der Mitte des Motivs wirken die abgebildeten Teilbereiche natürlich, gegen die Ränder arg verzogen. Ausserdem droht die Gefahr eines kissen- oder tonnenförmigen Verzugs. In Lightroom sollte man deshalb Architekturbilder mit einer Objektivkorrektur versehen, welche alle krummen Linien begradigt. Solche Objektivfehler kann man heute mit entsprechenden Tilt-/Shift-Objektiven teilweise begradigen. Einfacher und günstiger gehts in Lightroom oder Photoshop.
Beim Foto zwischen den Häuserschluchten gegen den Himmel versuche ich gar nicht erst, gerade Linien zu erreichen, das geht nicht. Wenn die Kamera aber geradeaus aufs Objekt gerichtet ist, dann hilft es, wenn sie nicht zu sehr gegen oben gekippt wird. Allerdings hat man dann etwas mehr vom Grund auf dem Foto, der nachträglich abgeschnitten werden kann.
Architektur finde ich in der blauen Stunde oder bei flachem Sonnenstand besonders reizvoll. Die Lichter in den Schaufenstern bilden einen warmen Kontrast zum tiefblauen Himmel.
Oft sind Personen auf den Architekturfotos wenig erwünscht. Sie können mit Photoshop herausgerechnet werden, wenn mehrere Aufnahmen ab Stativ gemacht werden (Bilder in Photoshop als Smartobjekte konvertieren, dann Ebene > Smartobjekte > Stapelmodus > Median). Das Stativ gehört also immer mit ins Gepäck.
Das unbedingte Begradigen der Perspektive halte ich für einen verkehrten Ansatz. Gerade, wenn Gebäude rund oder schräg gestaltet sind, sind auch schräge Ansätze in der Fotografie durchaus erwünscht.
Ralf Turtschi ist Inhaber der R. Turtschi AG, visuelle Kommunikation, 8800 Thalwil. Der Autor ist als Journalist und Fotoreporter für die Gewerbezeitung, unteres linkes Zürichseeufer und Sihltal, unterwegs. Er ist als Dozent beim zB. Zentrum Bildung, Baden, tätig, wo er im Diplomlehrgang Fotografie der Masterclass Fotografie und an der Höheren Fachschule für Fotografie unterrichtet. Kontakt: agenturtschi.ch, turtschi@agenturtschi.ch, Telefon +41 43 388 50 00.
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Autor
Ralf Turtschi
Ralf Turtschi ist Inhaber der R. Turtschi AG. Der Autor ist als Journalist und Fotoreporter für die Gewerbezeitung, unteres linkes Zürichseeufer und Sihltal, unterwegs. Er ist als Dozent beim zB. Zentrum Bildung, Baden,
tätig, wo er im Diplomlehrgang Fotografie der Masterclass Fotografie und an der Höheren Fachschule für Fotografie unterrichtet. - Rubrik Fotografie
- Dossier: Publisher 6-2020
- Thema Architekturfotografie
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