Mehr Wettbewerb für Adobe

Mit dem Affinity Publisher hat das ­britische Softwarehaus Serif jetzt seine Produktepalette zu einer kompletten Suite mit je einem Tool für Bild, Grafik und Layout komplettiert. Nicht nur Einzelanwender sehen jetzt den Moment zum Umstieg weg von Adobes Creative Cloud gekommen, sondern auch ­grössere Firmen und Organisationen – zum Beispiel die Universität Zürich.

Das ist zweifellos ein Meilenstein: Nach weit über 10 Jahren Kursangeboten für Adobes Kreativsoftware ist jetzt Schluss: Die Zentrale Informatik der Universität Zürich nimmt stattdessen Affinity Photo und Affinity Publi­sher ins Kursangebot für Studierende auf. Für Tim Menck, Verantwortlicher IT Fort- und Weiterbildungen an der Uni Zürich, sprachen mehrere Faktoren für einen Umstieg: «Für uns im Kurswesen steht der unmittelbare und nachhaltige Nutzen für die Kursteilnehmer im Vordergrund.» Bei der Schulung mit der Adobe-Software sah man das nur bedingt gegeben, da die Studierenden nach dem Kurs die Software zu wenig nutzten. Dies wohl wegen der von den Studierenden trotz 65 Prozent Rabatt immer noch als hoch empfundenen Abopreise von CHF 19.40 pro Monat. Bei Affinity mit einem Kaufpreis von 48 Franken pro Applikation dürfte das anders aussehen.

Zudem spart die Uni mit dem Umstieg markant Lizenzgebühren: Mit dem so gesparten Geld können zwei zusätzliche Kurse pro Jahr angeboten werden. Tim Menck hält jedoch fest, dass die Uni jetzt nicht grundsätzlich zur Adobe-freien Zone wird. Vielmehr entscheiden die einzelnen Institute autonom über die verwendete Software. Die Abteilung Kommunikation zum Beispiel setzt weiterhin auf die Adobe CC; andere Institute sind jedoch bereits ganz auf Affinity umgeschwenkt. Tim Menck sieht diese Entwicklung grundsätzlich sehr positiv: «Es tut dem Markt gut, dass nun valable Alternativen zu den Adobe-Produkten verfügbar sind».

Andrea Birkhofer, die an der Uni Zürich die Layout-Kurse leitet, steht voll hinter dem Entscheid. Sie hat sich im ­Selbststudium mittels Manual und Youtube-Videos für den Kurs fit gemacht: «Wenn man InDesign kennt, findet mach sich auch im Affinity Publisher rasch zurecht. Serif musste ja das Konzept einer Layoutsoftware nicht neu erfinden». Sie freut sich über die Performance von Affinity und findet das Konzept der Personas gerade für Einsteiger «genial».

Es bröckelt an breiter Front

Ähnliche Beweggründe wie bei der Uni Zürich liessen auch das Gymnasium Burgdorf von Adobe auf Affinity wechseln. Gemäss Oliver Lanz, Lehrer für bildnerisches Gestalten, empfand man das Adobe-Mietmodell als zu wenig benutzerfreundlich – vor allem bei der Installation – und zu hochpreisig. Mit Serif hat man jetzt eine praktikable Lösung gefunden, die es neu erlaubt, dass die Schüler nach dem Konzept bring your own device mit ihren eigenen Geräten mit einer Affinity-Jahreslizenz arbeiten. Dies wird pauschal über die ganze Schule zu attraktiven Konditionen abgerechnet.

Oliver Lanz ist mit der Funktionalität der kompletten Affinity-Suite sehr zufrieden und schätzt es, nicht mehr auf Schulcomputer ausserhalb des eigenen Klassenzimmers angewiesen zu sein: «Wir können jetzt im Unterricht nahtlos vom realen zum virtuellen Pinsel wechseln und die Schüler sind motiviert, auch zuhause digital kreativ zu sein.»

Diese Beispiele aus dem Bildungsbereich machen auch sonst Schule. Die Motive, einen Wechsel anzustreben, sind überall die selben: der Leistungsumfang der Adobe-Software ist unbestritten; Anlass zu Kritik gibt die eingeschränkte Wahlfreiheit bei den Lizenzmodellen: Es gibt nur das Abo­modell und auch dieses mit sehr wenigen Optionen. Eine preisliche Abstufung wie früher bei der Creative Suite zwischen dem kleinen Paket Design Standard und der alles umfassenden Master Collection gibt es nicht mehr. Viele Kunden fühlen sich gedrängt, mit dem Abo zwangsweise vieles mit zu bezahlen, dass sie gar nicht brauchen.

Ein eigentlicher Augenöffner bezüglich «Abo-Falle» war kürzlich das Beispiel Venezuelas, für das Adobe auf Geheiss Präsident Trumps schon ein Abschalten aller CC-Abos angekündigt hatte. Dies wurde dann zwar widerrufen, aber trotzdem: Gerade international tätige Firmen dürften auf ­solche Unwägbarkeiten empfindlich reagieren. ­Zudem wird für die zahlreichen Abo-Verweigerer unter den Adobe-Anwendern, die bei der Creative Suite verblieben sind, die Luft immer dünner: InDesign CS 6 ist noch eine 32-Bit-Anwendung und daher unter dem neusten macOS Catalina nicht mehr lauffähig.

Auch Grossunternehmen schwenken um

Das Angebot von Serif trifft also auf fruchtbaren Boden – speziell auch in der Schweiz: Gemäss eigenen Aussagen gehören heute neben der Universität Zürich unter anderem auch eine der grösseren Schweizer Banken sowie private und öffentlich-rechtliche Medienunternehmen zu den Kunden mit Volumenlizenzen.

Über 100 Adobe-Lizenzen sind auch bei einem mittelständischen Betrieb wie der ZT Medien AG (Zofinger Tagblatt) ein erheblicher Kostenfaktor. Für das Team um PreMedia-Leiter Michel Mayerle war das ein Grund mehr, die Entwicklung rund um Affinity von Anfang an aktiv mitzuverfolgen. Ausgiebige Tests auch mit komplexen Photoshop-Dateien zeigten, dass Affinitiy Photo die nötige Kompatibilität und entsprechenden Funktionen mitbringt. Auch der Designer konnte überzeugen und so werden nun in einem ersten Schritt an 10 – 15 Arbeitsplätzen Photoshop und Illustrator ersetzt und die Adobe-Abos auf InDesign reduziert. Wenn sich dies bewährt, werden in einem nächsten Schritt weitere rund 10 Arbeitsplätze in der Redaktion analog umgestellt. Für Michel Mayerle, früher fast eine Photo­shop-Freak und als solcher regelmässiger Fachautor in dieser Zeitschrift, kommt dabei wieder etwas Pioniergeist und Coolness auf: «Es macht Spass, mit Affinity Neues zu entdecken; die Benutzeroberfläche ist sehr gelungen und lädt zum Arbeiten ein. Photo­shop wirkt daneben eher überladen. Und wenn auch noch nicht überall alles so rund läuft wie in Photoshop, so entdeckt man auch immer wieder etwas, das einfacher und eleganter gelöst ist.»

Adobe mag nicht überall zu überzeugen

Enttäuscht vom Angebot Adobes ist auch Andreas Bühler, der in der Endress+Hauser-Gruppe mit ihren weltweit gegen 14 000 Mitarbeitern für die Publishing-Lösungen verantwortlich ist. Ein Umstieg auf die CC kam für ihn nie in Frage, sodass bei den gut 100 Publishing-Anwendern heute noch die CS5 im Einsatz ist: «Wir brauchen eine CMS-basierte Lösung, die weltweit performt und das ist mit der Adobe CC heute nicht realisierbar». Er sieht für die Lösung zwei Szenarien: Entweder das Layouten im Browser oder dann gleich die komplette Automation mit regelbasierten Layouts, wie man es bei Endress+Hauser für technische Dokumentationen heute schon praktiziert.

Ohne diese langfristigen ­Überlegungen würde er heute schon zu Affinity ­wechseln. «Wir brauchen nicht den maximalen Blumenstrauss an Features. Unsere User sind keine Publishing-Profis; da ist die Einfachheit der Bedienung mit den nötigsten Features ­wichtiger.» Diesbezüglich sieht er ­Affinity gegenüber Adobe klar im Vorteil. Er schätzt die Geschwindigkeit und Stabilität sowie das schlüssige Konzept mit den Personas dieser von Grund auf neu entwickelten Lösung.

Quereinsteiger als Affinity-Fans

Viel unmittelbareres Potenzial hat das Affinity-Angebot im Bereich der Einzelanwender und Quereinsteiger: Typisches Beispiel ist der umtriebige Wirt im Emmental, der Saisonspeisekarten und Flyer für von ihm ­organisierte Events selbst gestaltet. Von InDesign CS6 ist er jedoch nie auf die CC umgestiegen. Seinen ganzen Bestand an Layouts nur öffnen und bearbeiten können, solange man einen monatlichen Obolus entrichtet, war für den freiheitsliebenden Emmentaler nie ein Thema. Über eine Kollegin wurde er auf den Affinity Publisher aufmerksam und arbeitet schon seit der Betaversion damit. Der Funktionsumfang genügt ihm bestens und das ausgezeichnete Preis-/Leistungsverhältnis macht ihn vollends zum Affinitiy-Fan, der in Richtung Adobe meint: «Die müssen sich jetzt aber was einfallen lassen, wenn sie künftig nicht tausende Lizenzen verlieren wollen.»

Verschärft wird dieser Konkurrenzdruck durch den Umstand, dass Adobe bezüglich Weiterentwicklung der drei Klassiker Photo­shop, Illustrator und InDesign immer ­weniger Luft nach oben hat. Das jüngste Update auf InDesgin CC 2020 zeigt es deutlich: Das Produkt ist so weit ausgereift, dass Adobe nur noch Detailverbesserungen im Bereich Nice-to-have einfallen: Der neue Home Screen und die Rückwärts-­Option sind für die meisten Nutzer keine Killerfeatures. ­Affinitiy hat da viel mehr Potenzial und wird somit rasant aufholen. Ein nächster Meilenstein  wird schon ­Anfang nächstes Jahr mit einem Update für den Publisher folgen, welches das Öffnen von InDesign- Dateien (IDML) erlauben wird. Das grosse Aufholpotenzial zeigt aber auch, dass Adobe bei gewissen Features klar die Nase vorn hat. So wird Scripting aktuell von Affinity nicht unterstützt.

Adobe im Zugzwang

Wie wird nun Adobe auf diese Herausforderung reagieren? Ist der Kreativmarkt für Adobe überhaupt noch relevant, oder sind die neuen Märkte rund um die Experience Cloud für Adobe lukrativer? Ein Blick in den aktuellen Quartals-Finanzbericht (Q3 2019) gibt diesbezüglich klare Antworten: Die Experience Cloud generierte einen Umsatz von 821 Millionen Dollar, die Creative Cloud mit 1,65 Milliarden ziemlich genau das Doppelte! Es geht hier um nichts weniger als das Kerngeschäft und eigentlich hätte eine Reaktion schon längst kommen müssen. Denn den Nachwuchs an Gymnasien und Universitäten und damit die Entscheider von morgen an die Konkurrenz zu verlieren, das lässt sich später nicht mehr so leicht korrigieren.

Ob Adobe als simpelste Lösung darauf spekuliert, den unliebsamen ­Konkurrenten zu gegebener Zeit einfach vom Markt wegzukaufen? Wie auch immer: nach der Flaute und Windstille des Quasi-Monopols kommt jetzt wieder viel ­frischer Wind in den Publishing-Markt, den Adobe gerne als steife Brise empfinden darf.

Serif: klein und fein – und höchst profitabel
Serif (Europe) Ltd ist eine privat gehaltene britische Gesellschaft im Besitz des Managements und beschäftigt rund 80 Mitarbeiter. Nach der Gründung 1987 entwickelte Serif vor allem preisgünstige DTP-Software für Windows. Im Jahr 2009 entschied man sich für einen Neubeginn und plante mit Affinity von Grund auf neu konzipierte Anwendungen für Mac und Windows.
Nach fünf Jahren Entwicklungszeit erschien 2014 der Affinity Designer und ein Jahr später Affinity Photo. Mit dem Ende Juni dieses Jahres fertiggestellten Affinity Publisher ist die Suite jetzt komplett. Trotz Kampfpreis von nur rund 50 Franken pro Applikation arbeitet Serif höchst profitabel: Gemäss dem uns vorliegenden Finanzbericht 2018 konnte das Unternehmen bei einem Umsatz von 13.8 Millionen britischen Pfund Dividenden in der Höhe 7.3 Millionen ausschütten. Da können selbst die verwöhnten Adobe-Aktionäre nur vor Neid erblassen!

  • Autor Martin Spaar
    Martin Spaar ist Gründer des PUBLISHER und hat diesen kontinuierlich zum führenden Magazin im Bereich Publishing und Digitaldruck im deutschen Sprachraum ausgebaut. Anfang 2019 hat er die Zeitschrift an das junge Team der Pantara GmbH übergeben. Jedoch bleibt er dem PUBLISHER als Autor weiterhin verbunden und ist über freie Mandate auch sonst aktiv in der Schweizer Publishing-Szene unterwegs.
  • Rubrik Publishing
  • Dossier: Publisher 6-2019
  • Thema Adobe, Affinity, Serif

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