Rubrik: Kolumne

Digitale Entfremdung

Fast alle Printmedien stehen heute unter Druck. Es ist vor allem der finanzielle Druck, der gerade auch Fachmagazinen zu schaffen macht, weil Werbegelder mit zweifelhaftem Nutzen in die digitalen Kanäle abwandern. Und weil Printmedien nur mit einem grossen Einsatz von Personal- und Materialressourcen überhaupt zustande kommen. Tagesaktuelle Medien stehen zusätzlich unter politischem Druck. Die öffentlich-rechtlichen Medien werden über den Umweg der Finanzierung zu einer der Politik genehmen Programmierung gezwungen. In Venezuela, der Türkei, Russland, Ungarn, China und anderen Ländern werden die Medienfreiheit und die Meinungsäusserungsfreiheit unterbunden. In den USA beherrschen Kürzest-Twittermeldungen das mediale Tagesgeschäft. Radikale Gruppierungen oder auch Einzelpersonen vermögen mit dem Segen der Unzufriedenen ganze Gesellschaften ins Chaos zu stürzen. Man fragt sich, was in prosperierenden Gesellschaften jeweils schiefläuft, dass solche Entwicklungen möglich sind.

Künstliche Intelligenz

Von den einen euphorisch gefeiert, von den andern belächelt, die sogenannte künstliche Intelligenz (KI) treibt die Wirtschaft so oder so um. Bald schon soll KI die menschliche Intelligenz gar übertreffen, eventuell sollen Cyborgs (die Wesen, die teils aus Roboter, teils aus Mensch bestehen) die Weltherrschaft erringen. Bizarr mutet an, dass Roboter der Filmindustrie oder der Forschergemeinde immer wieder menschliche Gestalt annehmen. Dabei wäre es doch sinnvoller, sie mit der Schnelligkeit eines Geparden, der Kletterfähigkeit einer Spinne und den Flugkünsten einer Schwalbe auszustatten. Machen die Forscher aber nicht. Der doofe Körper des Homo sapiens ist ja nicht gerade das Gelbe vom Ei! Egal, was man davon hält, der technische Fortschritt lässt sich nicht aufhalten. Wenn KI Bilder vergleichen und Gesichter erkennen kann, ist dies aber nichts im Vergleich zur individuellen menschlichen Interpretation von Bildern.

Der Traumberuf

Wer in der Publishing-Szene Fuss fassen möchte, ganz gleich ob mit einer EFZ-Ausbildung, als Quereinsteigerin, als Autodidakt, als Freelancer, Selfpublisher, Influencerin oder Neuunternehmer, steht vor einem doppel­bödigen Markt. Die einen sprechen von papierloser Kommunikation, andere rufen: Papier wird es immer geben! Betriebe und Angestellte der Branche schrumpfen wie die Gletscher. Schrumpfen? Was niemand zählt, sind die Werktätigen, die Kreativen, die fern aller Statistiken munter den Markt aufmischen. Da sind all die IT-Leute, die Oberflächen gestalten, Fotografen, die Videos herstellen, Marketingfachleute, die InDesign bedienen, und Hotelfachangestellte, die Blogs und Newsfeeds beschicken. Bei der KV-Prüfung wird das Aussehen von Dokumenten wie Bewerbungsschreiben oder Diplomarbeiten geschult und im Zeugnis bewertet. Niemand kann die Berufstätigen in der Publishing-Szene erfassen. Selbst im Dunstkreis von Gewerkschaft und Verbänden findet eine wilde Durchmischung von bisher fest zugeordneten Tätigkeiten statt: Gestaltung ist auch bei den neuen Medientechnologen ein Thema und Mediamatiker mischen fröhlich die langweiligen PowerPoint-Präsentationen auf, während die Polygrafen eine Digitaldruckmaschine beschicken. Jeder macht alles.

Kontrollverlust

Die Kontrolle über das eigene Leben zu verlieren, bedeutet für freie Menschen eine einschneidende Zäsur. Ich denke an Krankheiten wie Schizophrenie, Demenz, Drogensucht, aber auch an gesellschaftliche Entwicklungen wie Fettleibigkeit, Diabetes oder an Armut. Der Sturz in die Tiefe geht immer mit einem Verlust an Souveränität einher. Betroffene sind nicht mehr frei in ihren Entscheidungen, sie werden fremdbestimmt. Die Medizin kontrolliert den Tagesrhythmus und den Krankheitsverlauf, die Sozialbehörde gibt den Ärmsten vor, was drin liegt und was nicht.

Iconic Turn

Bilder beherrschen zunehmend unseren Alltag. Auf Instagram, Facebook, Youtube oder Skype gehts frühmorgens schon los, Plakate oder die seichten Peoplemagazine kommen nicht ohne aus. Internetplattformen leben von Bildern, und auch die seriösen Zeitungen wenden sich mehr und mehr grossformatigen Fotos zu. Die Wissenschaft spricht vom «Iconic Turn», damit wird die sich ändernde Kommunikation vom Text hin zum Bild angesprochen.

Die Rückkehr der Moral

Das Jahresende ist für viele eine Zäsur: Was ist gut gelaufen, was muss ich besser machen? Die Unterscheidung der Welt in gut und schlecht ist für mich mehr eine Rechtfertigung für das eigene Tun. Was ist schon gut? Was ist heute schon schlecht? Die eigene Weltsicht rückt in den Mittelpunkt, denn was gut oder schlecht ist, meine ich auf mich selbst bezogen. Im eigenen Kokon gefangen, wird so jegliches Tun gerechtfertigt. Was für mich selbst gut ist, ist generell okay. Also zum Beispiel Ferienfliegen, Fleischessen, Autofahren, Cheminéefeuern, Liftfahren, Batterieverbrauchen, Colatrinken, Essenwegschmeissen, Weitpendeln, Nippeskaufen. Ob mein eigenes Verhalten die andern stört oder es gar schadet, frage ich nicht. Es kommt eh so, wie es kommt, ich kann als Einzelner nichts verändern.

Stillstand

Ich bin weiss Gott nicht jemand, der an der eigenen Vergangenheit hängt. Mit Sprüchen wie «Früher war alles besser» kann ich wenig anfangen. Kürzlich habe ich in einem alten Fotoalbum geschmökert, mit eingeklebten Fotos und so. Die Farben ausgeblichen, alle Bilder nach heutigen Kriterien ziemlich unscharf, miese Bildausschnitte, ein analoges Fotoarchiv – wie konnte ich damals so etwas machen! Nein, in der Vergangenheit war nicht alles besser. Der «Publisher» vor 25 Jahren wäre in der damaligen Typografie heute undenkbar. In den wilden 90er-Jahren, als die Welt im Desktop-­Publishing- und Digitaldruck-Hype vibrierte, erschütterten uns technologische Neuerungen im Halbjahresrhythmus. Über die ersten 128er-Modems, die in späten Nachtstunden die ersten Internetseiten zuckelnd auf den Bildschirm schrieben, können wir nur milde lächeln. Aufbruchstimmung war im gesamten Haus!

Digitalisierungsanfänger!

An dieser Stelle über Digitalisierung zu schreiben, mag für ­Publisher-­Leserinnen und -Leser Schnee von gestern sein. Ist doch die «Digitalisierung», oder was wir darunter verstehen, scheinbar längst gelebter Alltag. Bei näherer Betrachtung geht es nicht darum, einen Mac oder PC virtuos bedienen zu können, InDesign, Photoshop und andere Programme mit Shortcuts zu beherrschen. Also die Dinge zu tun, die uns in der Lehrzeit beigebracht wurden. Sind wir einmal ehrlich: Die Bedienung von Software wird doch einfach von allen vorausgesetzt. Es ist schon fast so, wie wir sehen oder lesen können. Vor allem im Webdesign sehen wir immer mehr Bedienungskomfort, die Komplexität versteckt sich unter der Oberfläche, die scheinbar einfach per Drag & Drop bedient wird. Ketzerisch nachgedacht: Warum lernen wir dann überhaupt noch InDesign? Das kann heute doch jeder! Ob Fotograf, Vereinspräsident, Musikband oder KMU, das Logo, den Flyer, den Steller, die Autobeschriftung, das Plakat und das Buch gestaltet und produziert man selbst. Da und dort helfen vielleicht Templates mit. An diesem Beispiel möchte ich aufzeigen, dass die Digitalisierungswelle uns Ertrinkende längst überschwappt hat. Wo die lernenswerten grundlegenden Fertigkeiten für die künftige Medienaufbereitung liegen und wie ihre Halbwertszeit ist, scheint unsicher und zweifelhaft. Sicher ist, dass die Digitalisierung und die Bildungsindustrie jedermann ermöglicht, es den Fachleuten gleichzutun. Ein PDF druckfertig aufzubereiten, ist aus meiner Sicht keine lernenswerte Fertigkeit. Wir reden heute von künstlicher Intelligenz – da sollte es Software doch möglich sein, die Datentransformation vom einen zum anderen Format automatisiert zu schaffen. Inzwischen knorzen wir an personalisierten Anreden rum und können «Liebe Ursi», «Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Kehlmann», «Grüezi Frau Malic» und «Hallo Philipp» gerade mal zu «Geschätzter Kunde» zusammenfassen.